Skoonheid – Oliver Hermanus

Raphaël Rück – Wenn Väter eigentlich Männer lieben oder wenn Schwule im Land der Apartheid so tun, als wären sie “konform”. Oliver Hermanus war heute in Zürich und sprach über seinen Film, der in Cannes die Queer Palm erhielt.

Skoonheid / Beauty @ Zurich Film Festival
Man sitzt gemütlich auf seinem Kinosessel und beobachtet. Oliver Hermanus hat es so gewollt, inspiriert hat er sich von Hitchcocks Vertigo, sagt er. Für die Dauer des Films wird der Zuschauer zum Beobachter, krasser ausgedrückt, zum Stalker. Sachte führt uns die Kamera in die Handlung und lässt uns Geahntes und weniger Geahntes sehen.Schon mit einer ersten langen Kamerafahrt nähern wir uns über Menschen und Brautpaar hinweg dem Objekt der Begierde: Christian (Charlie Keegan). Schnell merkt der Zuschauer, dass er durch die gierigen Augen einer anderen Figur blickt, nämlich aus François’ Perspektive (Deon Lotz), Christians Onkel.Der verheiratete Schreinereibesitzer wohnt in einer ländlichen Gegend in Südafrika. Seine Frau und er haben sich nicht mehr viel zu sagen. Eine Tochter ist verheiratet und gerade in den Flitterwochen, die andere sucht sich noch. Die Scheidung: eine Frage der Zeit. Obwohl sie ein scheinbar konventionelles Leben führen, geht François während seinen “Geschäftsreisen” ganz anderen Beschäftigungen nach.

Als er am Anfang des Films anlässlich der Hochzeit seiner Tochter Christian erblickt, geht er ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er erfindet Vorwände, um nach Kapstadt zu fahren, wo sein Bruder lebt. Dort versucht er sich unmerklich seinem Neffen zu nähern und muss mehrere Niederlagen einstecken bis… Mehr darf nicht verraten werden.

Heute wurde Oliver Hermanus gefragt, wie er auf diesen Schluss gekommen sei. Er meinte, er und sein Team hätten drei verschiedene Schlüsse gedreht und sich schliesslich für eine eher offene Version entschieden. Der junge, ambitionierte Regisseur scheint Grosses vorzuhaben: Sein nächster Film soll über die Beziehung von Jesus und Judas erzählen, verriet er.

Oliver Hermanus, Regisseur von Skoonheid

  • Dauer: 98 Minuten
  • Regie: Oliver Hermanus
  • Darsteller: Deon Lotz, Charlie Keegan

 

Ma part du gâteau

Raphaël Rück – Lässt sich Autorenfilm mit Mainstream vereinen? Cédric Klapisch – L’auberge espagnole (Barcelona für ein Jahr) – gelingt in seiner Tragikomödie über die Folgen der Finanzkrise eine bemerkenswerte Kombination.

Ma part du gâteau

Jeder will ein Stück vom Kuchen
Selten ist eine Eröffnungsszene nennenswert, aber in diesem Fall wird der Zuschauer schon über ein stark symbolisch geladenes Bild in die Handlung eingeführt, nämlich mit einer langen Kamerafahrt einem Geburtstagkuchen hinterher. Im Stil des bekannten Ovomaltine Werbespots, bei dem die Kamera für die Dauer der Aufnahmen an einer Studentin festgemacht ist (http://www.youtube.com/watch?v=vjnDOjiNCpw), verfolgen wir den Kuchen, bis er in Stücke geschnitten und die Stücke verteilt werden.

Im Film geht es jedoch nicht um einen Geburtstag, sondern vielmehr um die alleinerziehende Mutter France (Karin Viard), die einen Selbstmordversuch unternimmt. Grund für ihre Depression ist der Bankrott einer Fabrik, in der sie 20 Jahre gearbeitet hat. Wieder einigermassen gesund erkennt sie, dass bei der hohen Arbeitslosigkeit ihre Aussichten auf einen Job in Dünkirchen (Dunkerque) von Tag zu Tag schrumpfen. Sie fährt, dem Rat eines Freundes folgend nach Paris und lässt sich dort als Putzfrau ausbilden. Wegen ihrer französischen Herkunft findet sie rasch eine Anstellung bei einem Börsenmakler namens Stéphane (Gilles Lellouche), der sich später als ruchloser Finanzhai alias Steve entpuppen wird.

Obwohl ihr Reden und Fragen untersagt sind, kann es France nicht lassen, ihrem Boss anzuraten, lieber die Finger von seiner letzten Eroberung, dem blutjungen Model Tessa (Marine Vacth), zu lassen. Von da an wird die Beziehung zu ihrem Patron freundschaftlicher und als eines Tages Steves Sohn vor der Tür steht, wird die tatkräftige Putzfrau schlagartig zur Ersatzmutter. Später kommt es während einer Geschäftsreise in London sogar zum Schäferstündchen zwischen Steve und France – zwei sprechende Namen, sei hier bemerkt: einerseits der in der Finanzwelt durchaus passende und plausible anglo-amerikanische Spitznamen “Steve” und andererseits die sinnbildlich für das Leid einer Nation stehende France.

Doch schon am nächsten Tag läutet die Desillusionierung ein: Steve gibt skrupellos zu, an der Abwicklung der Dünkircher Fabrik beteiligt gewesen zu sein. Bei einem Spaziergang mit dessen Sohn im Park heckt France darauf einen waghalsigen Racheplan aus…

Karin Viard überzeugt

Wer die Französin aus POTICHE (François Ozon) kennt, hat sie nicht von ihrer besten Seite gesehen. In MA PART DU GÂTEAU glänzt sie wahrlich an der Seite von Gilles Lellouche. Sie spielt, wie sie selber sagt, eine Heldin der Neuzeit. Trotz ihrer leichtherzigen Komik – die Szene, in der sie sich als Russin ausgibt, ist ausgesprochen unterhaltsam – vermag sie ihrer Figur Tiefe zu verleihen. Selten ist mir eine derart glaubwürdige und mitreissende Mutterfigur im Kino begegnet.

In einem Interview meint Cédric Klapisch, er wolle den Zuschauern mit diesem Film sagen: “Jetzt habt ihr euch aber genug zerstreuen lassen!”. Sein Film gibt ihm jedoch nur ansatzweise Recht, denn der Stoff ist zwar höchst seriös, dennoch kann man sich bei einigen Szenen kaum das Lachen verkneifen.

Dauer: 109 Minuten

Regie: Cédric Klapisch

Darsteller: Karin Viard, Gilles Lellouche