The Awful Truth (US 1937) – kurze Genreanalyse

Raphaël Rück – Die Komödie aus den Dreißigerjahren spielt im Milieu der New Yorker High Society  und erzählt die Geschichte einer relativ friedlich verlaufenden Scheidung.

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Irene Dunne, Cary Grant und Ralph Bellamy

Der Film fängt mit einer Einstellung des Ehemanns, Jerry (Cary Grant), im Sportclub an. Er erklärt einem Kumpel, wie er seiner Frau vorgab, in Florida auf Geschäftsreise gewesen zu sein und deshalb noch einer Solarium-Sitzung bedarf. Bei der Wiederbegegnung im großbürgerlichen Salon ihrer Villa tritt die Ehefrau, Lucy Warriner (Irene Dunne), mit ihrem Französischlehrer auf. Dies weckt sofort Jerrys Misstrauen und der erste Streit bricht aus. Meines Erachtens wandelt sich an dieser Stelle der komödienhafte Modus in einen eher melodramatischen. Die Szene verliert ein wenig von ihrer Leichtigkeit und das Telefonat mit dem Anwalt (oder ist es der Vater?) verleiht der sich anbahnenden Scheidung mehr Ernsthaftigkeit.

Die Ehepartner streiten sich vor Gericht um ihren Hund, Mr. Smith. Lucy beweist viel schauspielerische Überzeugungskraft und vermag den Hund, dem schließlich die Entscheidung zukommt, anhand eines Spielzeugs auf ihre Seite zu locken. Im Gegensatz zur vorherigen Szene ist diese wieder fest im Register der Komödie verankert. Die Scheidung scheint bloße Formsache. Das Schauspiel ist sehr publikumsorientiert und es geht nicht mehr um die an sich emotional belastende Sache. Der Szene wohnt ein demonstrativer Gestus inne, als ob beide Figuren darauf hinweisen, dass es hier um das gesellschaftliche Phänomen “Scheidung” geht und weniger um psychologisch nachvollziehbare Gefühle. Auch die Figur des Hundes, an deren Stelle man sich ein verzweifeltes Kind vorstellen könnte – man denke beispielsweise an Kramer vs. Kramer (US, 1979) – funktioniert ganz nach der Logik der Komödie, indem sie die Sache trivialisiert und so humorvoller macht.

Kurz darauf zieht die frischgeschiedene Lucy mit ihrer Tante, Aunt Patsy, in eine Wohnung. An einem Abend, während die zwei Frauen gerade ihren Nachbarn kennenlernen, kreuzt Jerry auf. Während er am Klavier spielend den Hund zum Bellen bringt, versuchen sich die drei auf dem gegenüberliegenden Sofa zu unterhalten. Die Szene spielt auf zwei Bühnen, die in direkter Konfrontation zueinander stehen. Als der Nachbar, ein Farmbesitzer aus Oklahoma, auf einen Witz Jerrys in Gelächter ausbricht, weist ihn Lucy zurecht. Sie bestimmt, wann er zu lachen hat. So fungiert die Figur des Nachbarn auch als Spiegelung des Publikums, um dessen Aufmerksamkeit und Wohlgefallen gerungen wird.

Eigentlich geht es im Film trotz der zahlreichen Nebenfiguren immer um den Dialog, teils indirekt, teils direkt, der zwei Hauptfiguren. Ein gutes Beispiel ist die Szene zwischen Tür und Angel, in der Lucy Jerry hinter der Tür versteckt hält, während ihr der Oklahoma Farmer ein Gedicht vorliest. Rein von der Einstellungsabfolge (der Fokus liegt auf den Hauptfiguren) ist ersichtlich, dass es dabei nicht um das Liebesgeständnis, sondern um den Spaß geht, den sich Lucy und Jerry draus machen. Jerry kneift ihr in die Hüfte und sie bricht in schallendem Gelächter aus. Durch ein Räuspern und mit einer kurzen Entschuldigung rettet sie sich aus der Notlage. Die Nebenfiguren sind Mittel zum Zweck. In einer anderen Szene treffen sich die zwei Protagonisten mit ihren neuen Partnern zufällig in einem Restaurant. Jerrys Begleitung ist eine junge Dame mit südlichem Akzent. Ihre und des Farmers Provinzialität fungiert als Witzelement. Als sie eine kleine Varieté-Nummer aufführt, reagieren Jerry und Lucy mit einem ähnlichen Schamgefühl. Ihr gehobener New Yorker Geschmack und eine gewisse Abneigung gegenüber den zwei Southerners, die sie begleiten, verbindet sie. Lucy kann trotz größter Mühe nicht verbergen, dass sie auf keinen Fall nach Oklahoma City ziehen möchte. Jerry ergötzt sich an ihrem gequälten Anblick.

Die Komödie steckt voller gesellschaftspolitischer Kritik. Unter dem Hays Code produziert, verzichtet sie natürlich auf jede Darstellung von Sexualität und psychischer Gewalt. Die genretreue Inszenierung bringt eine gewisse emotionale Distanz zwischen potentiell ähnlichen Zuschauererfahrungen und dem porträtierten Scheidungsfall. Wie am Beispiel der ersten Szene aufgezeigt, kann der Lektüremodus jedoch durchaus zwischen “lachhaft” und “ernsthaft” oszillieren. Eine weitere mögliche Finte stellt m.E. die Figur des Französischlehrers dar. Vordergründig als Jerrys Kontrahenten und mutmaßlichem Liebhaber Lucys charakterisiert, könnte es sich bei ihm um die Darstellung eines Homosexuellen handeln. Die Typisierung ist subtil und reicht von Dandy-Attitüde über zu großer Nähe und zu großem Interesse an Jerry bis zum französischen Akzent – für Amerikaner Synonym mit Libertinage und dekadentem Lebensstil. So weicht besagter Französischlehrer in der ersten Szene nicht von Jerrys Seite, blickt ihn liebevoll an und versteht seinen Argwohn nicht. Später in einer sehr wirkungsvoll komödienhaft inszenierten Szene treffen beide in einem Nebenzimmer aufeinander, in dem sie Lucy vor den Blicken des Oklahoma Farmers versteckt hat. Jerry kommt als zweiter herein und während er durchs Schlüsselloch späht, bemerkt er den verhassten Privatlehrer nicht. Dieser steht direkt hinter ihm und bleibt still. In einer gründlicheren Analyse möchte ich gerne auf diese mögliche Typisierung eines Homosexuellen eingehen und weitere politisch brisante Themen unter der glatten Komödienoberfläche dieses Films aufspüren.

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